Bei fast vier Millionen Kindern in Deutschland ist
ein Elternteil von einer psychischen Erkrankung betroffen. Und wenn Kinder in
Familien aufwachsen, in denen ein Elternteil auf diese Weise oder suchtkrank
ist, besteht ein drei- bis vierfach höheres Risiko, dass sie später selbst
derart erkranken. Auch im Donnersbergkreis gibt es solche Fälle – und Erwachsene,
die trotz ihrer schwierigen Situation keine Hilfe in Anspruch nehmen. Um die
Situation zu beleuchten und möglichst passgenaue Angebote zu entwickeln, ist im
vergangenen Jahr der Runde Tisch „Kinder psychisch kranker oder suchtkranker
Eltern“ ins Leben gerufen worden. Federführend bei diesem Arbeitskreis sind Silvia
Rosenbaum, Referatsleiterin der sozialen Dienste der Kreisverwaltung in
Kirchheimbolanden, und Petra Vatter, die Psychiatriekoordinatorin des Landkreises.
Die Fachkräfte, die daran teilnahmen, hatten viele Fragen und Diskussionsbedarf.
Nach Workshops für Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter sowie für Schul- und
Kita-Leitungen gab es nun eine Fortbildung für die sozialen Dienste des Jugendamtes
und der ambulanten Jugendhilfeträger im Kreishaus. Hier wurde die Dimension des
Problems nochmals deutlich. Denn wie aus den Rückmeldungen der Teilnehmerinnen
und Teilnehmer ersichtlich wurde, ist die Problematik ihr „täglich Brot“, und
teilweise bringe es sie zur Verzweiflung, dass die Betroffenen nicht einsehen,
dass sie – auch im Interesse ihrer Kinder - Unterstützung benötigen. Aber sie
berichteten auch von Fällen, in denen durch die passende Unterstützung
betroffene Eltern und ihre Kinder gut miteinander leben können. Denn es ist
wichtig, Behandlungsangebote für erkrankte Eltern, ambulant oder stationär, zu
machen. Denn gestärkte Eltern können sich wieder besser um ihre Kinder kümmern.
Die Probleme der Erwachsenen färben auf die Kinder ab
Die Vernetzung der Kinder- und Jugendhilfe mit der Erwachsenenpsychiatrie ist
ebenfalls sehr bedeutsam. Die Erziehungsberatungsstelle der evangelischen Heimstiftung
und das evangelische Diakoniewerk Zoar haben in Kirchheimbolanden und
Rockenhausen bereits niederschwellige Gruppenangebote für betroffene Kinder
entwickelt. Wie man eine psychische Erkrankung überhaupt erkennt, wie man die Eltern
besser verstehen und die Kommunikation mit ihnen gestalten kann und wie man die
schwierige Balance hinbekommt, Kinder im Kindsein zu bestärken, aber gleichzeitig
ihre Hilfe für die Familie und so das Gesamtgefüge nicht zu gefährden, waren
nur ein paar der Fragen, die nun während des Termins aufkamen.
Dr. Petra Schwitzgebel ist Fachärztin für Kinder-
und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Gutachterin für diverse Gerichte.
In ihrem Vortrag erkläre sie, dass Persönlichkeitsstörungen die meisten
Probleme verursachten, aber am wenigsten offensichtlich seien. Und wenn Kinder
ihnen bei ihren Eltern ständig ausgesetzt sind, färben sie gewissermaßen ab:
Ihr Umgang mit Erwachsenen werde dadurch geprägt, und beispielsweise im
Kindergarten werde ihr Verhalten den Erzieherinnen und Erziehern gegenüber
unbewusst schwierig, was dann zu einer Spirale der Negativerlebnisse führt.
„Doch das Kind kann nichts dafür, wie es aufwächst“ und wie dies die
Interaktion mit Erwachsenen beeinflusst, betonte die Fachärztin.
Ein Drittel bis ein Viertel aller Erwachsenen
erfüllen, so erklärte sie, im Verlauf eines Jahres die diagnostischen Kriterien
für eine psychische Störung. Und jede beziehungsweise jeder Fünfte im Alter
zwischen drei und 17 zeigt selbst psychische Auffälligkeiten. Doch bei
psychischen Erkrankungen fehlt Erwachsenen wie Kindern das Greifbare, im Gegensatz
beispielsweise zu einem gebrochenen Bein tun sich viele auch im Umfeld schwer,
die Krankheit anzuerkennen. Depressionen seien inzwischen einigermaßen
enttabuisiert. Doch was darüber hinausgeht, nicht. Deshalb dürften viele Kinder
auch nicht außerhalb der Kernfamilie darüber sprechen, wie es ihren Eltern
geht, oder diese versuchten dies selbst den Kindern gegenüber zu verheimlichen.
Kinder und Jugendliche, die in der Familie mit
psychischen Erkrankungen konfrontiert sind, wünschen sich aber der Erfahrung
nach genauere Informationen darüber und das Risiko, selbst zu erkranken. Zudem
wollten sie soziale Unterstützung und einen geregelten familiären Alltag haben.
Und es zeige sich, betonte Schwitzgebel, dass ein betroffenes Kind nicht
erkranken müsse, wenn die sozialen Strukturen stimmen – wenngleich das Risiko
groß sei. Ihre Widerstandsfähigkeit könne gestärkt werden, wenn sie eine
sichere Bindung zu einem Erwachsenen haben und soziale Unterstützung von
außerhalb bekommen. Und wenn der betroffene Elternteil die eigene Krankheit gut
bewältigt. Dazu gehört es aber nun einmal, die Krankheit für sich selbst
anzuerkennen und Hilfe zuzulassen. Wenn eine Sucht im Spiel ist, gebe es jedoch
häufig kein warmes familiäres Klima, was für die Kinder so wichtig ist. Doch
jede beziehungsweise jeder siebte Jugendliche in Deutschland lebe mit einem
Elternteil zusammen, bei dem eine alkoholbezogene Störung vorliegt.
Es gibt bereits einige Hilfsangebote
Noch
schwieriger werde es bei einem Mischkonsum, wenn also zum Alkohol noch andere
Rauschmittel hinzukommen. Besonders groß können die Probleme werden, wenn das
Kind im Säuglingsalter ist und ein Elternteil erkrankt, Stichworte sind hier
Vernachlässigung, Misshandlung und die fehlende Sicht für Gefahren. Auch eine
frühe Schwangerschaft berge Risiken. Das Ziel aller an der Hilfe Beteiligten ist es, den
Kindern und den Familien die Chance zu ermöglichen, so normal wie möglich zu
leben, mit der Erkrankung umzugehen. Doch dazu müssen es die Betroffenen auch
zulassen. Durch den regelmäßigen Austausch sollen die Fachleute mehr Sicherheit
im Umgang mit den belasteten Familien bekommen, die Bedürfnisse der Kinder
besser erkennen, Hilfemöglichkeiten für die kranken Eltern und Ansprechpartner
vor Ort kennenlernen sowie neue Angebote entwickeln.
So gibt es beispielsweise
inzwischen auch Hilfen, die einen Verbleib im eigenen Haushalt statt einer
stationären Therapie ermöglichen, wenn man früh genug ansetzt. Und in
Rockenhausen eine Gruppe, in der sich betroffene Kinder mit Fachleuten
austauschen können. Auch darüber wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von
Kolleginnen und Kollegen des Pfalzklinikums Rockenhausen und des
Sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamts des Landkreises informiert.
Kontakt Weitere Auskünfte erteilen Silvia Rosenbaum, Telefon
06352/710-178, und Petra Vatter, Telefon 06352/710-515.
Symbolfoto: geralt auf Pixabay