Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
mit diesem Schreiben möchte ich Ihnen heute einen Vorschlag vorstellen, den ich
bereits im Jahr 2019 der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgestellt
habe. Mit Blick auf die aktuelle Situation ist meine Idee eines internationalerweiterten
Bundes-Pflichtjahres nochmals aktueller geworden. Gerade die vergangenen Jahre
haben gezeigt, dass sehr viele Seiten davon profitieren könnten.
Ich schreibe Ihnen als Landrat eines
kleineren, ländlichen, aber sehr vielfältigen und schönen Landkreises in
Rheinland-Pfalz. Ich bin seit 2017 im Amt, kam als Quereinsteiger ohne politische
Vorgeschichte ins Amt. Ich bemühe mich sehr, stets nah am Bürger zu sein, bin
viel vor Ort und höre zu.
Wir haben hier im Donnersbergkreis, vor allem
wegen der überaus engagierten, ehrenamtlich und beruflich unermüdlich tätigen
Pfälzerinnen und Pfälzern und denen, die in guter alter pfälzischer Tradition
hier eingewandert sind, sehr viel erreicht.
Viele Arbeitsplätze im innovativen
Mittelstand, dem traditionellen Handwerk und in vielfältigen Dienstleistungsbereichen, auch in der
modernen Land- und Forstwirtschaft, bieten uns weitgehend Vollbeschäftigung.
Das kulturelle Leben in unseren Städtchen und Dörfern bietet eine große
Vielfalt an Unterhaltung und Lebensfreude. Selbstredend hat die Pandemie hier
einiges ausgebremst. Mit einem eigenen Ansprechpartner für die Bereiche
Ehrenamt, Kultur und Sport, möchten wir hier vonseiten der Kreisverwaltung
unseren Teil dazu beitragen, dass dieses so wichtige Ehrenamt, dass dieses
kulturelle Leben nichts an seiner Bedeutung verliert.
Ich nehme aber auch seit einiger Zeit beängstigend rasant Veränderungen wahr, denen wir besser als bislang begegnen könnten.
Feuerwehren, Katastrophenschützer und
Rettungsdienste bemühen sich, wo sie nur können, um Personal, Busunternehmen
und Speditionen gehen mangels Bus- und Lkw-Fahrer in Insolvenz oder melden den
Betrieb ab, Pflegeberufe können die Zahl der Mitarbeiter und Auszubildende noch
nicht einmal halten, dabei bräuchten wir – wie allseits bekannt – derer mehr,
Fahrschulen finden keine Fahrlehrer mehr, unsere Verwaltungsstudenten kommen
heute orientierungsloser und unsicherer zu uns als meine Personaler es noch vor
wenigen Jahren für möglich hielten. Wirtschaftlich gesunde Handwerks- und
Gastronomiebetriebe finden weder Personal noch Nachfolgen. Gerade eine ländlich
geprägten Region wie den Donnersbergkreis trifft das sehr hart.
Unter den vielfältigen Ursachen für diese Entwicklung – wie zunehmende Akademisierung, fragliche Vergütungsstrukturen, demographische Entwicklung, Fokussierung auf die Work-Life-Balance, Verkomplizierung von Einstiegsqualifikationen etc. – kommt von unseren Arbeitgebern immer wieder ein Argument:
Sehr viele der heute Aktiven wurden indirekt
über die Bundeswehr, zum Beispiel Lkw- und Busführerscheininhaber,
Qualifizierte mit Fahrlehrer- und Handwerksausbildung, oder direkt über den
Ersatzdienst rekrutiert: Kranken- und Altenpfleger, Katastrophenschutz- und
Rettungsdienstmitarbeiter.
Von den Schulleitungen und Abiturienten erfahre ich von zahlreichen jungen Deutschen, die es für ein oder zwei Jahre auf andere Kontinente zieht, um sich zu orientieren und die eigenen Talente zu entdecken.
Die Zahl der Studien- und Ausbildungsabbrecher und -wechsler bewegt sich gleichzeitig nach oben.
Wie wäre es nun, wenn wir für alle Volljährigen, aller Geschlechter, ein
Bundes-Pflichtjahr einführen würden?
- Zur aktiven, temporären Wahrnehmung einer Aufgabe für unsere Gesellschaft, in den verschiedensten Facetten, von A wie Altenheim bis Z wie Zollverwaltung, bei der Bundeswehr, der Polizei, im Katastrophenschutz, im behördlichen oder privaten Umweltschutz, in Kliniken etc.
- Zum Erfahrung sammeln, Fähigkeiten und Neigungen entdecken und den eigenen Talenten auf die Spur kommen.
Und wie wäre es gar, wenn wir die Hälfte dieser Stellen tauschen, mit europäischen Partnern, das heißt, ein Teil der Franzosen und Italiener kommt zu uns und Deutsche gehen nach Polen oder Schweden? Bis die Europäer hier auf einer Linie sind, müssten wir mit gutem Beispiel voran gehen.
- Das Bewusstsein zugunsten eines starken und aktiven Europas würde gestärkt.
- Die Verständigung unter den Europäern deutlich verbessert.
- Und hierbei entstehende Kontakte auf allen gesellschaftlichen Ebenen werden dafür sorgen, dass nationale Alleingänge aus der Mode kämen.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Ihre Regierungserklärung mit der Ankündigung
eines Sondervermögens für die Bundeswehr hat mich dazu veranlasst, nach meinem
ersten Anlauf im Jahr 2019 nun auch Sie von meiner Idee eines
Bundes-Pflichtjahres zu informieren. Ich bin davon überzeugt, dass davon nicht
nur unsere Bundeswehr profitieren würde, sondern wir in zahlreichen äußerst
wichtigen Bereichen unserer Gesellschaft so manche Probleme lösen könnten. Ich
hoffe, dass ich Sie von meinem Vorschlag etwas begeistern kann. Sehr gerne
erläuterte ich Ihnen diesen bei einem Gespräch in Berlin oder hier in der
Pfalz.
Als gelernter Förster, die wir in vielen
Generationen denken müssen, ist mir die Vorstellung eines (Fern-)Zieles die
Richtschnur. Es geht beim Wald nie um Jahre, selten um Jahrzehnte, wir Förster
wissen nur, dass jeder Tag, der verstreicht, um das Ziel anzusteuern, ein
verlorener Tag ist.
Herzliche Grüße vom Donnersberg, wo die Pfalz am höchsten ist,
Ihr
Rainer Guth