Bundes-Pflichtjahr: Landrat stellt Bundeskanzler Scholz seine Idee in einem Schreiben vor

    Bereits im Jahr 2019 hatte Landrat Rainer Guth der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel seine Idee eines Bundes-Pflichtjahres in einem Schreiben vorgestellt – verbunden mit einem europäischen Ansatz. Die aktuelle Situation und Diskussion hat der Donnersberger Landrat nun zum Anlass genommen, Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Brief seinen Ansatz eines internationalerweiterten Bundes-Pflichtjahres zu erläutern. Hier können Sie den Brief lesen:

    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,

    mit diesem Schreiben möchte ich Ihnen heute einen Vorschlag vorstellen, den ich bereits im Jahr 2019 der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgestellt habe. Mit Blick auf die aktuelle Situation ist meine Idee eines internationalerweiterten Bundes-Pflichtjahres nochmals aktueller geworden. Gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass sehr viele Seiten davon profitieren könnten.

    Ich schreibe Ihnen als Landrat eines kleineren, ländlichen, aber sehr vielfältigen und schönen Landkreises in Rheinland-Pfalz. Ich bin seit 2017 im Amt, kam als Quereinsteiger ohne politische Vorgeschichte ins Amt. Ich bemühe mich sehr, stets nah am Bürger zu sein, bin viel vor Ort und höre zu.

    Wir haben hier im Donnersbergkreis, vor allem wegen der überaus engagierten, ehrenamtlich und beruflich unermüdlich tätigen Pfälzerinnen und Pfälzern und denen, die in guter alter pfälzischer Tradition hier eingewandert sind, sehr viel erreicht.

    Viele Arbeitsplätze im innovativen Mittelstand, dem traditionellen Handwerk und in vielfältigen  Dienstleistungsbereichen, auch in der modernen Land- und Forstwirtschaft, bieten uns weitgehend Vollbeschäftigung. Das kulturelle Leben in unseren Städtchen und Dörfern bietet eine große Vielfalt an Unterhaltung und Lebensfreude. Selbstredend hat die Pandemie hier einiges ausgebremst. Mit einem eigenen Ansprechpartner für die Bereiche Ehrenamt, Kultur und Sport, möchten wir hier vonseiten der Kreisverwaltung unseren Teil dazu beitragen, dass dieses so wichtige Ehrenamt, dass dieses kulturelle Leben nichts an seiner Bedeutung verliert.

    Ich nehme aber auch seit einiger Zeit beängstigend rasant Veränderungen wahr, denen wir besser als bislang begegnen könnten.

    Feuerwehren, Katastrophenschützer und Rettungsdienste bemühen sich, wo sie nur können, um Personal, Busunternehmen und Speditionen gehen mangels Bus- und Lkw-Fahrer in Insolvenz oder melden den Betrieb ab, Pflegeberufe können die Zahl der Mitarbeiter und Auszubildende noch nicht einmal halten, dabei bräuchten wir – wie allseits bekannt – derer mehr, Fahrschulen finden keine Fahrlehrer mehr, unsere Verwaltungsstudenten kommen heute orientierungsloser und unsicherer zu uns als meine Personaler es noch vor wenigen Jahren für möglich hielten. Wirtschaftlich gesunde Handwerks- und Gastronomiebetriebe finden weder Personal noch Nachfolgen. Gerade eine ländlich geprägten Region wie den Donnersbergkreis trifft das sehr hart.

    Unter den vielfältigen Ursachen für diese Entwicklung – wie zunehmende Akademisierung, fragliche Vergütungsstrukturen, demographische Entwicklung, Fokussierung auf die Work-Life-Balance, Verkomplizierung von Einstiegsqualifikationen etc. – kommt von unseren Arbeitgebern immer wieder ein Argument:

    Sehr viele der heute Aktiven wurden indirekt über die Bundeswehr, zum Beispiel Lkw- und Busführerscheininhaber, Qualifizierte mit Fahrlehrer- und Handwerksausbildung, oder direkt über den Ersatzdienst rekrutiert: Kranken- und Altenpfleger, Katastrophenschutz- und Rettungsdienstmitarbeiter.

    Von den Schulleitungen und Abiturienten erfahre ich von zahlreichen jungen Deutschen, die es für ein oder zwei Jahre auf andere Kontinente zieht, um sich zu orientieren und die eigenen Talente zu entdecken.

    Die Zahl der Studien- und Ausbildungsabbrecher und -wechsler bewegt sich gleichzeitig nach oben.


    Wie wäre es nun, wenn wir für alle Volljährigen, aller Geschlechter, ein Bundes-Pflichtjahr einführen würden?

    • Zur aktiven, temporären Wahrnehmung einer Aufgabe für unsere Gesellschaft, in den verschiedensten Facetten, von A wie Altenheim bis Z wie Zollverwaltung, bei der Bundeswehr, der Polizei, im Katastrophenschutz, im behördlichen oder privaten Umweltschutz, in Kliniken etc.
    • Zum Erfahrung sammeln, Fähigkeiten und Neigungen entdecken und den eigenen Talenten auf die Spur kommen.

    Und wie wäre es gar, wenn wir die Hälfte dieser Stellen tauschen, mit europäischen Partnern, das heißt, ein Teil der Franzosen und Italiener kommt zu uns und Deutsche gehen nach Polen oder Schweden? Bis die Europäer hier auf einer Linie sind, müssten wir mit gutem Beispiel voran gehen.

    • Das Bewusstsein zugunsten eines starken und aktiven Europas würde gestärkt.
    • Die Verständigung unter den Europäern deutlich verbessert.
    • Und hierbei entstehende Kontakte auf allen gesellschaftlichen Ebenen werden dafür sorgen, dass nationale Alleingänge aus der Mode kämen.


    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

    Ihre Regierungserklärung mit der Ankündigung eines Sondervermögens für die Bundeswehr hat mich dazu veranlasst, nach meinem ersten Anlauf im Jahr 2019 nun auch Sie von meiner Idee eines Bundes-Pflichtjahres zu informieren. Ich bin davon überzeugt, dass davon nicht nur unsere Bundeswehr profitieren würde, sondern wir in zahlreichen äußerst wichtigen Bereichen unserer Gesellschaft so manche Probleme lösen könnten. Ich hoffe, dass ich Sie von meinem Vorschlag etwas begeistern kann. Sehr gerne erläuterte ich Ihnen diesen bei einem Gespräch in Berlin oder hier in der Pfalz.

    Als gelernter Förster, die wir in vielen Generationen denken müssen, ist mir die Vorstellung eines (Fern-)Zieles die Richtschnur. Es geht beim Wald nie um Jahre, selten um Jahrzehnte, wir Förster wissen nur, dass jeder Tag, der verstreicht, um das Ziel anzusteuern, ein verlorener Tag ist.         

    Herzliche Grüße vom Donnersberg, wo die Pfalz am höchsten ist,

    Ihr
    Rainer Guth

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