Seit Jahren werden konstant tausende Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch zur Anzeige gebracht. Doch das ist nur das polizeiliche Hellfeld, das Dunkelfeld ist ungleich größer. Es wird geschätzt, dass 1 bis 2 Kinder pro Schulklasse von sexueller Gewalt betroffen sind - bei rund drei Viertel der Fälle geschieht das in der eigenen Familie oder im sozialen Nahfeld. Von den meisten Menschen wird dieses reale Risiko im eigenen Umfeld allerdings weitgehend verdrängt: 90% der Bevölkerung halten es zwar für wahrscheinlich, dass sexuelle Gewalt vor allem in Familien stattfindet. 85% halten es aber für unwahrscheinlich oder ausgeschlossen, dass sexuelle Gewalt in ihrer eigenen Familie passiert oder passieren kann, so das Ergebnis einer FORSA-Umfrage im Auftrag der Unabhängigen Beauftragten.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus: „Nur wenn ich den Gedanken zulasse, dass auch Kindern in meinem persönlichen Umfeld sexuelle Gewalt angetan wird, kann ich notfalls handeln. Daher ist unsere zentrale Botschaft: Schieb den Gedanken nicht weg! Wir alle müssen uns bewusst machen, dass Missbrauch nicht nur in Institutionen, sondern in den meisten Fällen im vertrauten Umfeld der Kinder vorkommt. Genau hier setzt die Kampagne an und zeigt Handlungsmöglichkeiten auf. Ich muss kein Profi sein, um helfen zu können. Aber ich kann und sollte wissen, an wen ich mich wenden kann, wenn ich einen Verdacht habe. Jede und jeder kann etwas tun!“
Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM): „Die Vorstellung, dass sexuelle Gewalt woanders stattfindet, dient der eigenen Beruhigung – kann aber blind machen für möglichen Missbrauch im eigenen Umfeld. Wenn wir unsere Kinder besser schützen wollen, dürfen wir diese mögliche Realität nicht länger wegschieben. Erst wenn wir diesen Gedanken zulassen, fangen wir an, unsere eigene Hilflosigkeit zu überwinden. Und das ist der erste, wichtige Schritt. Nur wer Missbrauch als reale Gefahr erkennt und sich informiert, kann auch wirkungsvoll handeln, wenn es darum geht Kinder und Jugendliche besser vor Missbrauch zu schützen.“
Der Betroffenenrat bei der Unabhängigen Beauftragten: „Diese Kampagne soll Mut machen und
dazu auffordern, selbst Verantwortung zu übernehmen und Teil einer
gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit zu werden: Immer da informiert zu
handeln, wo Kinder und Jugendliche sexualisierte Gewalt erleben und erwachsene
Betroffene sexualisierte Gewalterfahrungen in der Familie oder anderen
Tatkontexten offenlegen. Sexualisierte Gewalt in der Familie ist keine
Privatangelegenheit, sondern Unrecht. Dieses oft fehlende Unrechtsbewusstsein
führt in großen Teilen der Gesellschaft zum Schweigen über den Tatort Familie.
Jedoch hat das Umfeld die Verantwortung und vor allem die Möglichkeit, zu
helfen und den Betroffenen zur Seite zu stehen."
Mit
kontrastiven, irritierenden Aussagen wie: „Geh nicht mit Fremden mit! – Und
wenn es gar kein Fremder ist?“ oder „Mach niemandem die Tür auf! – Und wenn die
Gefahr schon drinnen ist?“ stellt die Kampagne gewohnte familiäre Denkmuster in
Frage und weist auf die reale Gefahr von sexueller Gewalt im persönlichen
Umfeld hin. Ziel ist es, Menschen zu befähigen, aktiv zu werden, wenn sie
Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch schöpfen, heißt es in einer Mitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
„Schieb den Gedanken nicht weg!“ ist als mehrjährige Kampagne konzipiert. Neben einer Vielzahl von Informationsmaterialien stärkt die Kampagne lokale Netzwerke und kommunale Initiativen und unterstützt diese mit einem Kampagnenbüro. Durch die Zusammenarbeit von Fachpraxis, Politik und Zivilgesellschaft sollen nachhaltige Bündnisse vor Ort zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt erreicht werden. Auch der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist ein wichtiger Partner, der die Kampagne und die bundesweiten und lokalen Aktivierungsmaßnahmen unterstützt.